Wie politische Narrative und Feindbilder in der parlamentarischen Praxis konstruiert werden.
Parlamentarische Anfragen sind ein zentrales Instrument der politischen Kommunikation. Sie dienen nicht nur der Kontrolle der Regierung, sondern auch der öffentlichen Positionierung und der Konstruktion politischer Narrative und Feindbilder. Die Konstruktion erfolgt auf mehreren Ebenen:
1. Sprachliche Rahmung (Framing)
Abgeordnete wählen gezielt Begriffe, Metaphern und Formulierungen, um ein bestimmtes Bild der Realität zu zeichnen. Beispielsweise werden Begriffe wie „Krise“, „Bedrohung“, „illegale Migration“ oder „Versagen der Regierung“ verwendet, um Probleme zu dramatisieren und Verantwortlichkeiten zuzuweisen.
2. Schauspielerzuschreibungen
Feindbilder entstehen oft durch die wiederholte Zuschreibung von Verantwortung oder Schuld an bestimmte Gruppen, Staaten, Institutionen oder politische Gegner. So werden etwa „die EU“, „die Regierung“, „bestimmte Minderheiten“ oder „ausländische Akteure“ als Ursache für Missstände dargestellt.
3. Selektive Themenwahl
Die Auswahl der Themen selbst ist Teil der Narrativkonstruktion. Parteien greifen gezielt Themen auf, die zu ihrer politischen Agenda passen und die eigenen Wähler mobilisieren – etwa Migration, Sicherheit oder soziale Gerechtigkeit. Durch die Häufung von Anfragen zu bestimmten Themen wird deren gesellschaftliche Relevanz betont.
Narrative und Feindbilder werden durch die wiederholte Thematisierung und ähnliche Fragestellungen verstärkt. So entsteht ein konsistentes Bild, das sich in den Köpfen der Öffentlichkeit festsetzt.
5. Implizite und explizite Wertungen.
Oft werden in den Fragen bereits Bewertungen und Unterstellungen eingebaut („Warum ignoriert die Bundesregierung…?“, „Wie will die Regierung das Versagen… beheben?“). Dadurch wird die Antwort der Regierung in ein bestimmtes Licht gerückt.
Beispiele:
„Wie will die Bundesregierung verhindern, dass weiterhin illegale Migranten unkontrolliert nach Deutschland einreisen?“
Hier werden Narrative von „Kontrollverlust“ und „Bedrohung“ konstruiert, und die Regierung als untätig dargestellt. → Konstruktion eines Kontrollverlust-Narrativs, Migrant*innen als Bedrohung, Regierung als untätig.
Oder - „Gefährdung der inneren Sicherheit durch ausländische Straftäter“
→ Feindbild: Ausländer/Migranten, Narrativ: Bedrohung der Sicherheit
„Benachteiligung von Alleinerziehenden im Sozialgesetzbuch“
→ Narrativ: Soziale Ungerechtigkeit, Feindbild: Staatliche Strukturen.
„Transparenz bei der Vergabe von Fördermitteln für Kohleprojekte“
→ Narrativ: Intransparenz, Feindbild: fossile Industrie/Behörden.
„Schutz von queeren Geflüchteten in Unterkünften“
→ Narrativ: Schutzbedürftigkeit von Minderheiten, Feindbild: unzureichende staatliche Schutzmaßnahmen.
Fazit:
Parlamentarische Anfragen sind nicht neutral, sondern ein machtvolles Werkzeug zur Konstruktion und Verbreitung politischer Erzählung und Feindbilder. Sie prägen die öffentliche Debatte und können gesellschaftliche Stimmungen gezielt beeinflussen.