Erhöht der Besitz von Atomwaffen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Staaten an militärischen Konflikten beteiligen? Eine quantitative Analyse.

Die Frage, ob Atomwaffen eine Eskalation militärischer Konflikte fördern, ist ein komplexes und umstrittenes Thema. Einerseits argumentieren einige, dass Atomwaffen als ultimative Abschreckung wirken. Die Androhung eines nuklearen Gegenschlags könnte Staaten davon abhalten, aggressive Handlungen zu unternehmen, da die potenziellen Kosten für alle Beteiligten verheerend wären. Diese Theorie der "Mutual Assured Destruction" (MAD) besagt, dass die Existenz von Atomwaffen tatsächlich zu einer stabileren Welt führen kann, in der Großmächte zögern, offene Konflikte zu riskieren.

Andererseits argumentieren Kritiker, dass der Besitz von Atomwaffen die Hemmschwelle für militärische Interventionen senken könnte. Die Staaten könnten sich sicherer fühlen, konventionelle Kriege zu führen oder Stellvertreterkriege zu unterstützen, im Vertrauen darauf, dass ihre nukleare Abschreckung sie vor direkten Angriffen schützt. Darüber hinaus könnte die Angst vor einem Präventivschlag andere Staaten dazu veranlassen, ebenfalls Atomwaffen zu entwickeln, was zu einem gefährlichen Wettrüsten und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Fehlkalkulationen und Eskalationen führen würde.

Im Rahmen der vorliegenden Analyse wurde untersucht, inwieweit Atomwaffenstaaten als Angreifer oder Verteidiger in militärischen Konflikten zwischen 1946 und 2025 involviert sind. Das Ziel war es, das geopolitische Konfliktpotenzial im Kontext der nuklearen Abschreckung zu beleuchten und statistisch zu erfassen, wie häufig Atomwaffenstaaten in bewaffneten Auseinandersetzungen auftreten.

Vorgehensweise:

Die Analyse basierte auf dem UCDP Dyadic Dataset Version 25.1, einem international anerkannten Datensatz, der detaillierte Informationen zu bewaffneten Konflikten und deren Konfliktparteien enthält. Dieses Dataset ermöglicht die Identifikation von Konfliktparteien auf Dyadenebene (also Paaren von Konfliktakteuren) und liefert Angaben zu Konfliktjahren, Intensität und Rollen der Akteure (Angreifer oder Verteidiger).

Zur Identifikation der Atomwaffenstaaten wurde eine erweiterte Namensliste erstellt, die neben den offiziellen Ländernamen auch alternative Bezeichnungen und Regierungsbezeichnungen enthielt. Diese Liste umfasste die neun bekannten Atomwaffenstaaten (USA, Russland, China, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Indien, Pakistan, Nordkorea, Israel) mit ihren möglichen Namensvarianten in den Daten.

Die Daten wurden für den Zeitraum 1946 bis 2024 gefiltert, um eine aktuelle und relevante Konfliktübersicht zu erhalten. Anschließend wurden die Konflikte daraufhin untersucht, ob Atomwaffenstaaten als Angreifer (side_a) oder Verteidiger (side_b) auftraten. Die Anzahl der Konflikte in beiden Rollen wurde ermittelt und gegenübergestellt.

Methodik:

  • Datenaufbereitung: Die Rohdaten aus dem UCDP Dyadic Dataset wurden mit Python und der Bibliothek Pandas eingelesen und verarbeitet. Die Ländernamen wurden bereinigt und vereinheitlicht, um eine korrekte Zuordnung zu den Atomwaffenstaaten zu gewährleisten.

  • Datenfilterung: Es erfolgte eine zeitliche Filterung der Konflikte auf den Zeitraum 1946–2024, um die Analyse auf aktuelle geopolitische Entwicklungen zu fokussieren.

  • Kategorisierung: Konfliktparteien wurden anhand der erweiterten Namensliste als Atomwaffenstaaten oder Nicht-Atomwaffenstaaten klassifiziert.

  • Deskriptive Statistik: Die Häufigkeit der Konflikte mit Atomwaffenstaaten als Angreifer und Verteidiger wurde tabellarisch erfasst.

Der Chi-Quadrat-Test wurde verwendet, um zu prüfen, ob die Verteilung der Angriffe auf Länder mit und ohne Atomwaffen statistisch signifikant unterschiedlich ist. Das Ergebnis zeigte:

Chi-Quadrat-Wert: ca. 189.87
p-Wert: extrem klein (~3.4e-43)

Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Verteilung zufällig zustande gekommen ist, praktisch null ist. Es gibt also einen signifikanten Unterschied in der Angriffshäufigkeit zwischen Atomwaffenstaaten und Nicht-Atomwaffenstaaten. Die Daten legen nahe, dass Atomwaffenstaaten deutlich seltener als Ziel von militärischen Angriffen sind, was auf eine Abschreckungswirkung von Atomwaffen hindeutet. Gleichzeitig zeigen weitere Analysen, dass direkte Konflikte zwischen Atomwaffenstaaten zwar vorkommen, aber vergleichsweise selten sind.



Diese Werte zeigen, dass zwar viele Konfliktfälle (insgesamt 419 für Nicht-Atomwaffenstaaten) existieren, diese sich aber auf eine geringere Anzahl unterschiedlicher Länder verteilen. Die Atomwaffenstaaten sind deutlich seltener als Ziel von Angriffen, sowohl in der Anzahl der Konfliktfälle als auch in der Anzahl der betroffenen Länder.

Ergebnisse und Erkenntnisse:

Die Analyse ergab, dass Atomwaffenstaaten im betrachteten Zeitraum (1946-2025) deutlich häufiger als Angreifer in militärischen Konflikten auftreten als als Verteidiger. Die Anzahl der Konflikte mit Atomwaffenstaaten als Angreifer lag je nach Namenslistenvariante zwischen 337 und 409, während die Anzahl der Konflikte mit Atomwaffenstaaten als Verteidiger konstant bei 32 lag.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Atomwaffenstaaten eine aktive Rolle in militärischen Auseinandersetzungen spielen, was wichtige Implikationen für die Diskussion um nukleare Abschreckung und geopolitische Stabilität hat.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Analyse auf den im UCDP Dyadic Dataset erfassten Daten basiert. Dieses Dataset konzentriert sich auf bewaffnete Konflikte, die einen bestimmten Schwellenwert an Gewalt erreichen müssen, um erfasst zu werden. Die subtileren Formen der Aggression, wie Cyberangriffe, Wirtschaftssanktionen oder politische Einflussnahme, werden in dieser Analyse nicht berücksichtigt.

Quellen:

Rohdatten: https://ucdp.uu.se/downloads

Scott D. Sagan – The Limits of Safety: Organizations, Accidents, and Nuclear Weapons (1993)

Nina Tannenwald – The Nuclear Taboo: The United States and the Non-Use of Nuclear Weapons Since 1945 (2007)

Jervis, Robert. The Illogic of American Nuclear Strategy. Cornell University Press, 1984.

Waltz, Kenneth N. "The Spread of Nuclear Weapons: More May Be Better." Adelphi Papers, 1981.

Schelling, Thomas C. Arms and Influence. Yale University Press, 1966.



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Nuclear Weapons and Military Conflict: A Quantitative Analysis.

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