Die Konstruktion des Feindbildes in Afrika: Fallbeispiel- Ruanda

Die afrikanischen Feindbilder sind weder archaische Stammesmythen noch bloße Kollateraleffekte der Armut. Sie sind strategisch erzeugte politische Technologien, die aus kolonialen Klassifikationen gespeist, von postkolonialen Eliten instrumentalisiert und durch moderne Medien beschleunigt werden.

Die Dekonstruktion von Feindbildern erfordert ein tiefes Verständnis ihrer Verwurzelung in der lokalen Geschichte und den gegenwärtigen Machtverhältnissen. Nur durch die Aufdeckung der Mechanismen, die Feindbilder nähren, können effektive Strategien zur Friedensförderung entwickelt werden. Dazu gehört die Förderung eines kritischen Bewusstseins für die manipulative Kraft von Narrativen, insbesondere in Bezug auf koloniale Traumata und wirtschaftliche Ungleichheiten. Im Folgenden werden einige Fallbeispiele, in denen gezielte Feindbilder als Katalysatoren für Gewalt und Konflikte dienten, dargestellt.

Der Völkermord in Ruanda 1994 gilt als eines der extremen Beispiele für die systematische Konstruktion und Mobilisierung von Feindbildern. Die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi wurde während der Kolonialherrschaft durch administrative Maßnahmen und rassistische Ideologien verstärkt. Nach der Unabhängigkeit nutzt die politische Elite diese Differenzierung, um Macht zu sichern und zu legitimieren. In den Jahren vor dem Genozid wurde das Feindbild des „Tutsi-Fremde“ und „Verräters“ systematisch aufgebaut.[1]

So wurde die Spaltung zwischen Hutu und Tutsi nicht nur durch die koloniale Vergangenheit, sondern auch durch gezielte politische und mediale Propaganda verschärft. Die Radikalisierung gipfelte in der Instrumentalisierung des Radiosenders Radio-Télévision Libre des Mille Collines (RTLM), der Hassreden verbreitete und zur Gewalt gegen Tutsi aufrief. Die Propaganda zeichnete die Tutsi als Bedrohung für die Hutu-Mehrheit, als "Kakerlaken", die ausgerottet werden müssten. Diese dehumanisierende Sprache trug maßgeblich dazu bei, die Hemmschwelle für die Gewalt zu senken und die Bevölkerung für den Völkermord zu mobilisieren. „Der Völkermord in Ruanda ist ein tragisches Beispiel dafür, wie ethnische Identität von politischen Eliten manipuliert werden kann, um Massengewalt zu rechtfertigen. Die Medien spielten eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Hassreden und der Anstiftung der Bevölkerung zur Beteiligung an den Morden.“[2]

Die Konstruktion des Feindbildes war ein zentrales Element im Vorfeld des Völkermords in Ruanda. Die gezielte Instrumentalisierung von Angst und Misstrauen, die zwischen den ethnischen Gruppen der Hutu und Tutsi bestanden, schuf eine Atmosphäre der Feindseligkeit, die schließlich in unvorstellbarer Gewalt mündete. „Der Völkermord war kein spontaner Ausbruch von Gewalt, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses der politischen Mobilisierung, in dessen Verlauf der Feind sorgfältig definiert, benannt und entmenschlicht wurde.“[3] Ein entscheidender Faktor war die selektive Interpretation der Geschichte. Historische Ereignisse wurden verzerrt dargestellt, um die These einer langfristigen Unterdrückung der Hutu durch die Tutsi zu untermauern. Diese Narrative dienten dazu, Ressentiments zu schüren und das Gefühl einer kollektiven Bedrohung zu verstärken. Die Betonung der ethnischen Identität wurde systematisch dazu genutzt, die Gesellschaft zu spalten und eine „Wir gegen Sie“-Mentalität zu fördern.

Die Konstruktion von Gruppenunterschieden durch Kolonialmächte ist ein tragisches Beispiel dafür, wie Machtstrukturen und rassistische Ideologien tiefe soziale Spaltungen schaffen können. Im Falle von Hutu und Tutsi in Ruanda und Burundi nutzten die Kolonialmächte vage soziale Kategorien, um eine Hierarchie zu errichten, die auf vermeintlichen rassischen Unterschieden basierte. Diese Unterschiede wurden nicht nur durch politische und wirtschaftliche Bevorzugung der Tutsi verstärkt, sondern auch durch die Vermittlung von Stereotypen, die die Selbstwahrnehmung beider Gruppen nachhaltig beeinflussten.

Die Hutu-Revolution und die darauffolgenden politischen Umwälzungen zeigten, wie diese konstruierten Unterschiede in reale Konflikte mündeten. Die Übernahme der Macht durch die Hutu-Mehrheit führte jedoch nicht zu einer gerechteren Gesellschaft, sondern zu einer neuen Form der Unterdrückung, die das Misstrauen und die Feindseligkeit zwischen den Gruppen weiter verstärkte. Das Narrativ der Bedrohung durch die Rückkehr der Tutsi-Monarchie diente als Katalysator für den Völkermord von 1994. Beide Seiten verankerten sich in Opfererzählungen, die ihre Handlungen als notwendige Selbstverteidigung rechtfertigten. Diese verzerrte Wahrnehmung der Realität führte zu einer unvorstellbaren Eskalation der Gewalt, bei der Hunderttausende Menschen auf grausame Weise ermordet wurden.

[1] Mahmood Mamdani, When Victims Become Killers.2001

[2] Zolina D. M. Smirnova O.A. “Conflicts in tropical Africa: typology, causes, consequences”2017.

[3] Mahmood Mamdani, When Victims Become Killers.2001.S 203


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